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Fotografien von Jeremie Aubouin, Anna Arendt, Dorothee Baumann, Olle Fischer, Uta Protzmann, Christian Reister, Anke Schüttler und Nicole Woischwill. Kuratiert von Jenny Graser und Nicole Woischwill

Das Motiv des Fensters nahm in der bildenden Kunst wie auch in der Architektur seit jeher eine Brückenfunktion ein und diente sprichwörtlich als Tor zur Welt. Das »Fenster61«, ein circa 2×2 Meter umfassendes Schaufenster, in dem seit 2005 in monatlichen Abständen zeitgenössische Fotografie gezeigt wird, spielt sogleich mit dieser Eigenschaft. Denn es ist nicht betretbar, sondern als Schauraum allein visuell erfahrbar. Darüber hinaus präsentiert es in der Ausstellung »Hinter Glas« fotografische Positionen von acht Künstlerinnen und Künstlern, die sich dem Seherlebnis widmen, das Fenster und Spiegel generieren. Deren bildkonstituierende Funktion gleicht der Kameralinse mit den Worten des Medienphilosophen Dieter Mersch ausgedrückt darin, dass „angeschaut vielmehr das Bild zurückblickt“, und manchmal begegnet sich der Schauende darin gar selbst.

Die Eigenschaft des Spiegels, seine Umgebung oder ein Gegenüber abzubilden, wird in der Fotografie »Face you« von Dorothée Baumann gezielt unterlaufen. Ein Spiegel ist hier zwischen die Arme eines am Boden liegenden Mädchens gedrückt und verdeckt ihr Gesicht. Lange blonde Haare, eine schemenhaft angedeutete Brust sowie die leichte Schatten werfenden Rippenknochen lassen einen weiblichen Körper erahnen. Dieser wirkt jedoch merkwürdig deformiert und durch den ungewöhnlich positionierten Spiegel fragmentiert. Der Frauenkörper, durch das Artefakt zerstückelt, wandelt sich zum Objekt.

Eine zunächst irritierende Wirkung zeichnet ebenfalls die Fotografie von Anna Arendt aus. Die Köpfe zweier Personen schälen sich aus einem körnigen, diffusen Hintergrund heraus. Ihre Blicke begegnen sich nicht. Ein Augenpaar ist direkt auf den Betrachter gerichtet, fokussiert ihn, scheint ihn zu verfolgen. Der Anblick provoziert einen Gegenblick, ebenso wie die aufmerksamen Augen eines zähnefletschenden Wolfes, der uns auf dem nächsten Bild der Fotografin begegnet. Harmonisch, vertraut und in keinster Weise aggressiv, wirkt hingegen die Beziehung der beiden Personen, die auf der crossentwickelten Fotografie von Nicole Woischwill miteinander interagieren. Mit dessen warmen Farbton korrespondiert sogleich Anke Schüttlers Arbeit, in welcher der Licht- und Schattenwurf eines roten Vorhangs den Mittelpunkt bilden. Der vor ein Fenster gehängte Stoff ist zwar transparent und lässt das Licht in den Raum eindringen. Trotzdem erschließt sich dem Betrachter weder die Beschaffenheit des Zimmers, noch wird der Blick hinaus ermöglicht. Dem warmen Farbton dieser beiden Bilder gegenüber steht eine zweite, sehr viel kühler wirkende Arbeit von Nicole Woischwill. Auf der schwarz-weiß Fotografie ist eine vereinzelte männliche Figur zu sehen. Sein Rücken ist dem Betrachter, sein Blick dem Licht zugewandt. Was diesen Augen wohl begegnet? Und was erblickt die in warme Kleidung gehüllte, durch ein Fernglas schauende Dame, die Olle Fischer auf einem Dampfer fotografiert hat? In Unruhe versetzte Wellen und dunkle schwarze Wolken umschließen miniaturartig wirkende Hochhäuser, aus denen der Zeit scheinbar entrückt, die Twin Towers deutlich hervortreten. Eine Möwe zieht vorbei.

Außen- und Innenraum verbinden sich wiederum in der schwarz-weiß Fotografie von Christian Reister. Eine unbekleidete Frau posiert lasziv in einem Fensterrahmen. Die Konturen ihres Körpers zeichnen sich scherenschnittartig auf der Scheibe ab. Zugleich spiegeln sich darin helle Lichter einer gegenüberliegenden Hauswand, so dass der rätselhafte Eindruck entsteht, als befände sich die Person doch im Freien. Eine Überblendung von urbanem Raum und Mensch begegnet uns ebenfalls in der Fotografie von Uta Potzmann. Hier verschmelzen das liebliche Abbild der Dichterin Anna Achmatova, das hinter einem Schaufenster platziert ist, mit den sich im Fenster reflektierenden Ästen und Schemen der Stadt Sankt Petersburg. Auch das Motiv von Jeremie Aubouins Arbeit setzt sich aus Fragmenten einer Landschaft und Architektur zusammen. Der Fotograf hat eine Wand abgelichtet, deren Tapete einst Wälder, Berge, Flüsse und ein Schloss beherbergte. Einer Decollage gleich wurde die Tapete jedoch großflächig abgerissen, so dass der braune Untergrund der Hauswand hervortritt. Die Linse der Kamera hält eine abstrakte Form fest, die in die feinmalerische Landschaftsdarstellung einzubrechen scheint.

Das »Fenster61« präsentiert mit der Ausstellung »Hinter Glas« ein breites Spektrum an zeitgenössischer Fotografie, deren einzelne künstlerische Positionen unterschiedlicher kaum sein könnten. Und doch haben sie etwas gemeinsam: Das Bild, es schaut angeblickt zurück. Und was siehst Du?

Text: Jenny Graser

As iconographic elements, windows have served as crossing points both in the visual arts and in architecture, as proverbial gateways to the world. FENSTER61 plays with this idea. It is a showroom viewers cannot just walk in; rather, they must visually feel their way around. “Behind Glass” is an exhibition of photographic positions of eight national and international artists exploring the phenomena of windows and mirrors. They constitute images, and in doing so, they have a function similar to that of the camera lens – as media philosopher Dieter Mersch puts it, “when looked at, the image looks back” – and sometimes the viewers even encounter themselves in these images.